Brosius-Gersdorf und der neunte Monat – Was hinter der Debatte um Spätabtreibungen steckt

Um das deutsche Abtreibungsrecht ist eine politische Kontroverse entbrannt. Grund: An diesem Freitag soll die Potsdamer Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht bestimmt werden. Ihre Position zu Schwangerschaftsabbrüchen ist umstritten.
So sieht sie gute Gründe dafür, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst von der Geburt an gelte. Doch wie ist die Diskussion aus medizinischer Perspektive zu bewerten? Wie verläuft ein Schwangerschaftsabbruch? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein? Antworten auf einige zentrale Fragen.
Unter welchen Voraussetzungen ist ein Schwangerschaftsabbruch erlaubt?Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach deutschem Recht zum Beispiel erlaubt, wenn medizinische oder kriminologische Gründe vorliegen. Dies können schwerwiegende gesundheitliche Komplikationen beim Ungeborenen oder bei der Mutter sein oder eine Schwangerschaft infolge einer Vergewaltigung. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland etwa 106.000 Schwangerschaftsabbrüche gemeldet. Laut Statistischem Bundesamt lagen in 4105 Fällen medizinische, lediglich 40-mal kriminologische Gründe vor.
Mehrheitlich erfolgten die Eingriffe im Rahmen der sogenannten Beratungsregelung. Diese sieht vor, dass eine Schwangere mindestens drei Tage vor dem Abbruch an einer Schwangerschaftskonfliktberatung teilgenommen haben und eine entsprechende Bescheinigung vorweisen muss.
Bis wann ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtlich möglich?Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach dem Gesetz bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis zulässig. Dies entspricht der 14. Schwangerschaftswoche. Laut Definition wird vom ersten Tag der letzten Monatsblutung an gerechnet. Gerät die Gesundheit der Schwangeren in ernste Gefahr, ist ein Abbruch auch zu einem späteren Zeitpunkt möglich.
Was passiert bei einem Schwangerschaftsabbruch?Ein Schwangerschaftsabbruch darf in Deutschland nur von einem Arzt oder einer Ärztin vorgenommen werden. Dies geschieht entweder indem der Schwangeren ein Medikament oral verabreicht wird oder sie sich einem operativen Eingriff unterzieht.
Wie funktioniert ein Schwangerschaftsabbruch mit Medikamenten?Bei der medikamentösen Methode erhält die Schwangere Mifepriston. Der Wirkstoff blockiert die körpereigene Produktion des weiblichen Geschlechtshormons Progesteron, das für den Fortgang der Schwangerschaft sorgt. Der Fötus stirbt ab, der Muttermund öffnet sich.
Etwa zwei Tage später erhält die Frau ein Gewebshormon (Prostaglandin), das zur Kontraktion der Gebärmutter führt. Zieht sich die Muskulatur zusammen, werden Schleimhaut und Fötus ausgeschieden. Nach spätestens drei Wochen überprüfen Ärzte, ob der Abbruch erfolgreich war, ob Fötus und Schleimhaut vollständig ausgeschieden wurden.
Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch ist bis zur neunten Woche nach Ende der letzten Monatsblutung möglich und in etwa 95 bis 98 Prozent der Fälle erfolgreich. Ist er es nicht, wird eine Operation erforderlich.
Bei einem Abbruch nach der 20. Schwangerschaftswoche wird dem Fötus eine Kaliumchlorid-Lösung gespritzt, die zum Herzstillstand führt. Anschließend wird mit Medikamenten die natürliche Geburt eingeleitet.
Wie läuft ein operativer Schwangerschaftsabbruch ab?Der Eingriff findet unter Narkose statt: entweder mit einer kurzzeitigen Vollnarkose oder mittels einer örtlichen Betäubung des Muttermunds und des Gebärmutterhalses.
Falls erforderlich, wird der Muttermund leicht geweitet, um ein Röhrchen einführen zu können, durch das die Gebärmutterschleimhaut mit dem Embryo abgesaugt wird. Danach zieht sich die Gebärmutter wie bei einer Menstruationsblutung zusammen. Die Operation dauert etwa eine Viertelstunde.
Bei einer Kürettage wird mit einer Kürette, einem stumpfen, löffelartigen Instrument, die Gebärmutter ausgeschabt. Dieses Verfahren ist jedoch nicht sehr gebräuchlich.
Frauen mit rhesusnegativem Blut bekommen nach der Operation eine Injektion mit Anti-D-Immunglobulinen. Sie soll verhindern, dass sich Antikörper bilden, die bei einer späteren Schwangerschaft den Fötus schädigen könnten.
Der Eingriff erfolgt ambulant. Er ist bis zur 14. Schwangerschaftswoche möglich.
Was ist nach dem Eingriff zu beachten?Bei einem Abbruch mit Medikamenten können Übelkeit, Erbrechen oder Schmerzen auftreten. Manchmal kommt es zu Entzündungen. Bei einer Operation kann die Gebärmutter verletzt werden, was aber sehr selten passiert.
Nach dem Abbruch hält die Blutung bis zu zwei Wochen an. Der Hormonhaushalt verändert sich. Das kann emotionale Reaktionen auslösen, die sich in einem Spektrum zwischen Erleichterung und Trauer bewegen. Kommt es zu depressiven Phasen oder anderen psychischen Problemen, ist die Rede vom Post-Abortion-Syndrom, kurz PAS. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat es nicht in die ICD, die internationale statistische Klassifikation, aufgenommen.
Was merkt das Ungeborene?In der 14. Schwangerschaftswoche misst der Fötus etwa acht Zentimeter. Das Rückenmark, das Herz und die anderen Organe sind angelegt. Bereits am 40. Tag sind beide Hirnhälften erkennbar, ab dem 44. Tag ist elektrische Hirnaktivität vorhanden.
Die Frage, wann ein Ungeborenes Schmerzen empfindet, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Manche Forscher vermuten, dass das Schmerzempfinden in der 20. Schwangerschaftswoche einsetzt, andere gehen davon aus, dass dies später oder sogar erst nach der Geburt der Fall sei. Wiederum andere finden einen früheren Zeitpunkt plausibel, da die Entwicklung des Gehirns und des Nervensystems bereits in der dritten Schwangerschaftswoche beginnt.
Berliner-zeitung