Impulse für die Arzneimittelversorgung aus Patientenperspektive

Teil der EU-Pharma-Agenda ist unter anderem auch eine Aufwertung der Patientenbeteiligung in den europäischen Verfahren der Arzneimittelzulassung. So sollen künftig bei der European Medicines Agency (EMA) im Management Board, im Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) und im Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) Vertreter*innen von Patientenorganisationen mitwirken.
Erfreulicherweise wurde im Kommissionsvorschlag1 auch in Artikel 143, Nr. 4a an eine Kostenerstattung für die beteiligten Patientenvertreter*innen gedacht. Uneins ist man sich allerdings noch hinsichtlich des Grades der Beteiligung. Während in Artikel 148 und 149 noch von „Voting rights“ die Rede ist, wurde jüngst nur noch davon gesprochen, dass Patientenvoten „in Betracht gezogen“ werden sollen.
Natürlich sind die europäischen Dachorganisationen der Patient*innen, das (European Patient Forum) EPF und EURORDIS, gegen eine solche Herabsetzung sturmgelaufen.2 Jenseits der vordergründigen Frage nach dem „Stimmrecht“ bei der EMA ist jedoch ganz grundsätzlich zu klären, welches methodische Konzept denn mit der Beteiligung von Patientinnen und Patienten in den Gremien der EMA verfolgt werden soll.
Es könnte bei der Beteiligung um eine Art „Bürgerbeteiligung“ gehen, um sich bei der EMA abzusichern, dass ein gewisses Restrisiko bei der Zulassung auf der Basis einer eventuell doch nicht ganz sicheren Evidenzlage noch akzeptabel ist.
Patientenvertreter*innen hätten dann zu reflektieren, ob der schnellere Zugang zu einer Innovation oder eben die Vermeidung von Rest-Risiken bei Zulassungsentscheidungen der Leitgedanke einer Entscheidung sein sollte. In Deutschland wird die Patientenbeteiligung weniger als Legitimationsquelle für Entscheidungen angesehen, sondern als Erkenntnisquelle im wissenschaftlichen Assessment. Die Klärung von Patientenpräferenzen, die Ausdifferenzierung von Subpopulationen und die Kenntnis des realen Versorgungsgeschehens sind nämlich wichtige Wissensbestandteile, die methodisch bei jedem Arzneimittel-Assessment, also auch bei der Zulassung, erforderlich sind.
Im Bereich der Arzneimittelnutzenbewertung ist völlig klar, dass die Patientensicht nicht allein dazu da ist, ein Bewertungsergebnis als „akzeptabel“ oder „nicht akzeptabel“ zu qualifizieren. Es geht vielmehr darum, den Prozess der Erkenntnisgewinnung im HTA-Verfahren mit der Betroffenenkompetenz der Patientinnen und Patienten anzureichern. Daher ist es nur konsequent, dass Schulungen zur Methodik von HTA-Prozessen in Deutschland ein Standardangebot für Patientenvertreter*innen beim G-BA sind. Ein qualitatives Mitberatungsrecht ist in einem solchen Setting keinesfalls wirkungslos.
Im Gegensatz dazu verfügen die Patientenvertreter*innen bei der französischen Haute Autorité de Santé (HAS) ganz selbstverständlich über ein Stimmrecht, aber leider über keinerlei fachlichen Support. Mit Blick auf die EMA ist daher mit Nachdruck zu hinterfragen: Gibt es denn hier ein methodisches Konzept, warum und zu welchem Zweck Patientenvertreter*innen mit einbezogen werden sollen?
Die Klärung dieser Frage schlägt auch auf die künftige Ausgestaltung des europäischen Nutzenbewertungsverfahrens für Arzneimittel durch.
Nach den Plänen der EU-Kommission soll nämlich die Datenbank der EMA für die dortige Patientenbeteiligung auch einfach dazu genutzt werden, Patientenvertreterinnen für das EU-HTA-Verfahren ausfindig zu machen. Auf die fachlichen Kompetenzen der hinzugezogenen Personen scheint es dabei nicht besonders anzukommen. Es wird auch offenbar nicht reflektiert, dass die Mitwirkung in Zulassungsverfahren nicht einfach mit der Mitwirkung in Nutzenbewertungsverfahren gleichzusetzen ist. Schulungen zur Methodik von HTA-Verfahren sind jedenfalls nicht vorgesehen.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Patientenbeteiligung auch hier eher als Legitimationsquelle denn als Wissensquelle gedacht wird. Immerhin besteht die Möglichkeit, dem Sekretariat der Koordinierungsgruppe für die Mitwirkung am EU-HTA-Verfahren auch qualifizierte Patientenvertreter*innen aus Deutschland vorzuschlagen. Ein solches Recht kommt nämlich den Nationalen Koordinierungsstellen nach Artikel 83 der EU-Verordnung 536/2014 zu.3
Kurioserweise ist dies nicht der G-BA, sondern das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Obwohl das BfArM normalerweise gerade nicht in die Nutzenbewertung von Arzneimitteln involviert ist, wäre es sehr hilfreich, wenn es gelänge, die Mitwirkungsmöglichkeiten der hiesigen Patientenvertreter*innen auf europäischer Ebene auf diesem Wege zu verbessern.
© privat
1 European Commission: European Parliament legislative resolution of 10 April 2024 on the proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council laying down Union procedures for the authorisation and supervision of medicinal products for human use and establishing rules governing the European Medicines Agency, amending Regulation (EC) No 1394/2007 and Regulation (EU) No 536/2014 and repealing Regulation (EC) No 726/2004, Regulation (EC) No 141/2000 and Regulation (EC) No 1901/2006 (COM(2023)0193 – C9-0144/2023 – 2023/0131(COD)) https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2024-0221_EN.html#title2 [Zugriff 24.4.2025]
2 Joint Statement: The added value of a meaningful patient involvement at the EMA level - EPF EURORDIS. https://www.eurordis.org/epf-eurordis-joint-statement-patient-involvement/ [Zugriff 24.4.2025]
3 Regulation (EU) No 536/2014 of the European Parliament and of the Council of 16 April 2014 on clinical trials on medicinal products for human use, and repealing Directive 2001/20/EC https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0536 [Zugriff 24.4.2025]
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