Geromedizin stärken

Die Deutschen werden immer älter. Laut Statistischem Bundesamt erreichen neugeborene Mädchen im Schnitt ein Alter von 83 Jahren und zwei Monaten. Männliche Säuglinge werden immerhin 78 Jahre und zwei Monate alt. Damit erhöhte sich die Lebenserwartung in den vergangenen zehn Jahren für beide Geschlechter um mehr als eineinhalb Jahre.
Doch wie wird gesundes Altern möglich? Diese Frage war Thema bei einem Pressegespräch, das die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften mit Sitz in Halle/Saale, organisiert hatte. Dabei ging es um Konzepte für eine neue Medizin in einer alternden Gesellschaft.
„Altern ist ein lebenslanger Prozess”, sagt Björn Schumacher vom Institut für Genomstabilität in Alterung und Erkrankung sowie Alternsforschungs-Exzellenzcluster CECAD der Universität zu Köln. „Bereits im frühen Erwachsenenalter setzt dieser Prozess ein. Zellen, Gewebe, Organe – und der Körper ist permanent damit beschäftigt, die Schäden zu korrigieren.“
„Heute werden die Menschen zwar älter, doch ihr Reparatur-Mechanismus hat sich nicht geändert“, erklärt er. „Deshalb steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir krank werden: Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs.“ Schumachers Fazit: „Wenn wir die Ursachen des Alterns besser verstehen, könnten altersbedingte Krankheiten verhindert werden und wir gesund altern.“
Derzeit würden die Babyboomer in Rente gehen, „rund ein Drittel der Bevölkerung ist dann über 65 Jahre alt – und mehr als die Hälfte leidet unter einer oder mehreren chronischen Krankheiten. Das wird in relativ kurzer Zeit unser Sozialsystem sprengen“, warnt der Altersforscher.
Um die biologischen Prozesse des Alterns besser untersuchen zu können, brauche man in Deutschland ein interdisziplinäres Forschungskonsortium und eine Biodatenbank, erklärt Schumacher. So sollen Bundesland übergreifend medizinisches Fachwissen gebündelt und wichtige Daten zusammengeführt werden.
Die Verfügbarkeit, Verknüpfung und Auswertung großer Datenmengen sei entscheidend, um die biologischen Alterungsprozesse besser zu verstehen, Umwelteinflüsse auf das Altern abzuleiten und mögliche geroprotektive Maßnahmen zu entwickeln. Sogenannte Multi-Omics-Daten – also kombinierte biologische Daten aus verschiedenen Ebenen wie DNA, RNA und Proteinen – können dabei helfen, Biomarker für das Altern zu entwickeln.
Für die Medizin würden sich daraus zahlreiche neue Ansätze ergeben, beispielsweise für die pharmakologische Behandlung des Alterns. Schumacher: „Bereits jetzt gibt es Medikamente – wie zur Behandlung von Bluthochdruck oder Diabetes Typ 2 – mit positivem Effekt, was die geroprotektive Wirkung betrifft.“
Beim Thema Alternsforschung müsse auch der Tierschutz deutschlandweit einheitlich geregelt werden, sagt Oliver Tüscher von der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universitätsmedizin Halle sowie vom Leibniz-Forschungsverbund Altern und Resilienz. Das sei „eine Voraussetzung, um neue Medikamente entwickeln zu können“. Der Tierschutz würde derzeit zu sehr unter dem landwirtschaftlichen Aspekt gesehen, weniger für die medizinische Forschung.
Auch Psychologe Tüscher sieht in der Geromedizin großes Potenzial als Präventionsmedizin. Sie müsse bereits in die Ausbildung junger Medizinerinnen und Mediziner aufgenommen werden, regt der Psychologe an. Es gehe dabei auch um ein neues Bewusstsein, um Vorsorge, mit der man schon jung beginnen müsse. „Wir wissen theoretisch alle, was uns nicht guttut, aber wenn man jung ist, fallen die Folgen nicht ins Gewicht, weil sie meist noch nicht sichtbar sind...“
Die Alternsmedizin sei zwar noch ein junges Fachgebiet, habe aber schon wichtige Erfolge aufzuweisen, meint Andrea Maier von der Yong Loo Lin School of Medicine der National University of Singapore. Chronische Krankheiten, die im hohen Alter ausbrechen, könnte man häufig schon mit 30, 40 Jahren feststellen. „Wenn wir wissen, warum wir altern, können wir den Prozess beeinflussen.“
Es gehe nicht darum, „die Lebensspanne, sondern die Gesundheitsspanne zu verlängern“, sagt Maier, die für einen Paradigmenwechsel plädiert: Das Altern müsse in der medizinischen Praxis selbst im Fokus stehen und damit der Erhalt der Gesundheit – und nicht erst die Behandlung altersbedingter Krankheiten. „Mit steigender Lebenserwartung wird auch die Zeit verlängert, in der wir gesund leben.“
Alternsforscher Schumacher mahnt zu Tempo: „Angesichts der Krise im Gesundheitswesen, die auch durch die große Zahl der von Multimorbidität betroffenen Menschen verursacht wird“, müsse der aktuelle Zeitplan für die Entwicklung von Arzneimitteln bis zu ihrer Umsetzung beschleunigt werden.
„Wir rasen auf gesellschaftliche Überalterung zu“, betont er. Würden wir bei unserem „Trödelmarsch“ bleiben, werde es demnächst schwierig, in der Gesellschaft harmonisch zusammenzuleben.
Das Diskussionspapier „Konzepte für eine neue Medizin in einer alternden Gesellschaft – Perspektiven für Forschung und medizinische Versorgung“ ist auf der www.leopoldina.org/alternsmedizin veröffentlicht.
rnd