Geheime „AG Impfpflicht“ diskutierte über Erzwingungshaft für Corona-Impfung

Während der Corona-Pandemie entbrannte im Bundestag eine lebhafte Debatte über die Einführung einer Impfpflicht: doch was passierte hinter den Kulissen?
Die Journalistin Aya Velázquez gelang es nach einer Klage, einen Datensatz von 987 PDF-Seiten zu erhalten, der E-Mails und Anhänge umfasst. Dieser Datensatz liefert nun entscheidende Einblicke in die Hintergründe der Diskussion.
Das geheime Gremium „AG Impfpflicht“Aus den neuen E-Mails geht hervor, dass die Abgeordneten der SPD, Grünen und FDP, die eine allgemeine Impfpflicht planten, am 21. Januar 2022 einen ausführlichen Fragenkatalog an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) übermittelten. Das BMG wies zu jeder Frage die zuständige Behörde zu und leitete den Katalog an die entsprechenden Stellen weiter. Besonders interessiert zeigten sich die Abgeordneten an der praktischen Umsetzbarkeit der allgemeinen Impfpflicht.
Sie fragten unter anderem: „Welche weiteren Vollzugsmöglichkeiten nach einem Bußgeldbescheid und jenseits einer Erzwingungshaft kommen für die Durchsetzung der Impfpflicht in Betracht? Wie könnte das Bußgeld an die Einkommenshöhe angepasst werden? Wie häufig sollten Bußgelder verhängt werden?“ Auf eine „Erzwingungshaft“ wollte man verzichten. Stattdessen sollte in der Begründung für die Impfpflicht auch deren „positive Freiheitsbilanz“ hervorgehoben werden.
Die Dossiers umfassen den Zeitraum vom 13. Dezember 2021 bis zum 5. April 2022 – also bis zwei Tage vor der Abstimmung zur allgemeinen Impfpflicht im Bundestag. Absender- und Empfängernamen sind geschwärzt, der Inhalt der E-Mails und Dokumente wurde jedoch vollständig herausgegeben. Die Leitung der AG oblag der BMG-Unterabteilung 61 „Gesundheitssicherheit“, die in den Verantwortungsbereich von Heiko Rottmann-Großner fiel.
Velázquez stellte eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) zu den Dokumenten der „AG Impfpflicht“. Diese interministerielle Arbeitsgruppe hatte im Winter 2022 den Gesetzesentwurf zur allgemeinen Impfpflicht vorbereitet. Weil das RKI auf die Anfrage nicht reagiert haben soll, reichte sie Klage beim Verwaltungsgericht Berlin ein. Erst daraufhin erhielt sie die Dokumente. Die Existenz des Gremiums wurde erst im Februar dieses Jahres durch die RKI-Files öffentlich bekannt.
Neben behördlichen E-Mails enthält der Datensatz zahlreiche Anhänge in Form von PDF-Dokumenten, etwa das österreichische Gesetz zur Covid-19-Impfpflicht, Entwurfsfassungen des Gesetzes zur allgemeinen Impfpflicht mit Anmerkungen der Ministerien sowie die Gesetzesentwürfe anderer Fraktionen.
„Beim Verhalten des RKI fällt auf, dass das Institut in seinem internen Krisenstab bereits ab dem 12. Januar 2022 Zweifel an der allgemeinen Impfpflicht äußerte, diese jedoch in der AG Impfpflicht unter Heiko Rottmann-Großner nicht artikulierte, sondern stattdessen die allgemeine Impfpflicht ausdrücklich befürwortete“, schreibt Velázquez.
Impfpflicht und Verfassungsrecht: Kaum Bedenken geäußertIn den E-Mails des RKI wurden unter anderem Modellierungsdaten von Dirk Brockmann herangezogen, die eine notwendige Durchimpfungsrate in Deutschland aufzeigen sollten. Als weitere Grundlage wurde häufig die COSMO-Studie von Cornelia Betsch, einer Verhaltensforscherin der Universität Erfurt, zitiert.
Nur an vereinzelten Stellen in den Unterlagen der AG Impfpflicht wurde kurzzeitig die Erkenntnis geäußert, dass die Rechtfertigung einer allgemeinen Impfpflicht allein auf dem „Individualschutz“ möglicherweise verfassungsrechtliche Bedenken aufwerfen könnte, da es problematisch ist, ein Individuum zum Selbstschutz zu zwingen.
Letztlich scheiterte die Impfpflicht im April 2022 daran, dass die verschiedenen Bundestagsfraktionen mit ihren unterschiedlichen Gesetzesentwürfen keine Einigung erzielen konnten. Dies führte dazu, dass keiner der Entwürfe eine ausreichende Mehrheit im Bundestag fand.
„Die E-Mails der ‚AG Impfpflicht‘ zeigen auf, auf welcher brüchigen Grundlage im Winter 2022 für die allgemeine Impfpflicht argumentiert wurde. Sie sind ein drohendes Mahnmal dafür, was sich in Deutschland auf keinen Fall wiederholen darf, wenn Artikel eins und zwei des Grundgesetzes – die Würde des Menschen und das Recht auf körperliche Selbstbestimmung – in Zukunft wieder gelten sollen“, fasst Velázquez ihre Enthüllung zusammen.
Berliner-zeitung